Dichter auf der Suche nach Russland

Im Rahmen der Hoyerswerdaer Gespräche "Grenzgänger" liest Olaf Kühl (* 1955) beim Hoyerswerdaer Kunstverein, Mirko Schwanitz, Rundfunkjournalist aus Berlin, moderiert. Die "Grenzgänger -Gespräche" werden unterstützt von der Robert-Bosch-Stiftung Bonn.

Olaf Kühl, rechts, liest aus seinem Roman "Tote Tiere" beim Hoyerswedaer Kunstverein. Mirko Schwanitz moderiert.Eigentlich sollte der Wiener Autor Martin Pollack beim Hoyerswerdaer Kunstverein lesen. Er konnte krankheitsbedingt jedoch nicht anreisen und so sprang Olaf Kühl ein, was durchaus eine Bereicherung war. Er las aus seinem ersten Roman "Tote Tiere".
Es beginnt mit einer verrückten Idee von zwei Schriftstellern. Einer ist Deutscher und liebt die slawische Literatur, der andere ist Pole und schreibt Bücher, die der Deutsche übersetzt. Beide wollen in Sibirien den berühmtesten Gefangenen der Welt aus dem Straflager befreien, den Ölmagnaten Michail Borissowitsch Chodorkowski.
Eine solche Reise findet tatsächlich statt und Olaf Kühl legt sie seinem Roman "Tote Tiere" zugrunde. Im Buch heißen sie Konrad und Andrzej. Es werden tatsächliche und fiktive Begebenheiten miteinander verwoben. Sehr bald merkt man, dass der Reisegefährte von Konrad, alias Olaf Kühl, kein anderer ist als der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk. Die Romane und Reportagen dieses jungen polnischen Autors wurden den Hörern des Hoyerswerdaer Kunstvereins bereits durch Dr. Wolfgang Wessig bekannt gemacht. 
Im Roman "Tote Tiere" nun begeben sich die beiden Protagonisten auf eine abenteuerliche Reise nach Sibirien, Konrad aus Liebe zu Russland, Andrzej mit den charakteristischen Vorbehalten eines Polen; doch, wenn man Änderung verlangt, muss man hinfahren, ist das gemeinsame Anliegen. Sie werden Chodorkowski nicht befreien, aber Irkutsk, den Baikalsee und die verarmte, "verrostete" Grenzregion zur Mongolei und zu China kennen lernen und das Lager Krasnokamensk, allerdings nur von außen, denn dessen berühmter Insasse Chodorkowski ist bestens bewacht.
Fast alle Akteure des Romans lassen in kurzen Momenten genau das Aufblitzen, was Kühl am russischen Menschen liebt, seine tiefliegenden russischen Wurzeln und seine Fähigkeit "sich immer wieder Olaf Kühl signiert sein Buch und findet bei den Hörern großen Anklangzu erneuern". Im nächsten Moment aber ist das Gespräch überschattet von Propaganda - Sätzen und nationalistischen Gemeinplätzen. Im Wechsel mit der sachlichen Sprache des Reporters zu den politischen Ereignissen beschreibt Olaf Kühl sehr sensibel und poetisch die Landschaft der Steppen, den Baikalsee und die Gesichter der russischen Menschen, die ihm begegnen. Was Konrad und Andrzej aber auch begegnet, sind tote Tiere am Weg, Tiere, die getötet, vergiftet oder gepeinigt wurden. Diese Tiere kann man synonym für unterdrückte und verratene Ideen zugunsten von gewählten oder selbst ernannten Machthabern verstehen, denen sie im Wege waren. Auch dies ist Tradition in Russland seit langer Zeit. Und so endet der Roman mit der Vision, dass diese Tiere wieder lebendig werden, möglicherweise eine Hoffnung, dass sich Russland seines Reichtums, seiner Schönheit und Kultur bewusst wird und zu demokratischen Formen finden könnte? Eine heute äußerst brisante Frage. 
Olaf Kühl übersetzte neben Andrzej Stasiuk auch Boleslaw Prus, Witold Gombrowicz, Dorota Maslowska und andere. Dafür erhielt er 2005 den Karl-Dedecius-Preis. Seit 1996 arbeitet er als Russlandreferent des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. Mit seinem ersten Roman "Tote Tiere" war er bereits in Russland auf Lesereise und hat dort vor allem unter Studenten eine große Resonanz gefunden, trotz anfänglicher Befürchtungen vor Repressalien.

Mit freundlicher Genehmigiung von Sächsische Zeitung, Hoyerswedaer Tageblatt. 

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