Ohne Italien will ich nicht in die Kiste

"Spaziergang von Rostock nach Syrakus " - ein Roman von Friedrich Christian Delius, gelesen von Elisa Ueberschär, beim Hoyerswerdaer Kunstverein.

Elisa Ueberschär liest beim Hoyerswerdaer KunstvereinEin Spaziergang ist es beileibe nicht, den Friedrich Christian Delius in seinem Roman beschreibt, eher der eines Weges, der mit Angst und Drangsal gepflastert ist, aber getragen von einer großen Sehnsucht.
Gewollt erinnert der Titel natürlich an den Spaziergang nach Syrakus des Johann Gottfried Seume, der im Jahr 1801 nach Italien aufgebrochen war, um zu Fuß bis nach Syrakus zu kommen. Nach einem Jahr war er zurück, allerdings auch kein einfacher Weg damals, in unruhigen Zeiten und mit wenig Geld in der Tasche, zu wenig, um mit der Kutsche zu fahren und oder in teuren Quartieren zu übernachten wie einst Johann Wolfgang von Goethe, aber mit einem großen Vorteil, Seume will sich sein Italien erwandern, will mehr sehen als andere, von den Menschen, denen er ins Auge sehen kann, nur gelegentlich wird er "die stille Größe der omnipräsenten Vergangenheit bewundern".
Der Held bei Delius heißt Paul Gompitz, ein ehemaliger Schlosser und nur kurzzeitiger Jura-Student aus Dresden, der in der DDR als Saisonkellner an der Ostsee arbeitet und dabei gut verdient. Seit er Seumes "Spaziergang nach Syrakus" gelesen hatte, war ihm Italien zur großen Sehnsucht geworden. Deshalb studierte er die römische Geschichte und Reisebeschreibungen berühmter Italienreisender. Alle legalen Wege, eine Reisegenehmigung nach Italien zu kommen, waren gescheitert, so blieb ihm nur eine Flucht über die Ostsee, mit einem Segelboot. Dass er zurück kommen wollte, stand für ihn von Anfang an fest.
Sieben Jahre bereitet er diese "illegale" Reise vor. Wie kann ein Plan gelingen? Es darf keiner außer Dir etwas wissen, es muss alles akribisch durchdacht sein und ein Quäntchen Glück sollte man bei solch übermenschlicher Anstrengung auch haben. Ich möchte mein Land doch nur einmal verlassen, um am Ende bleiben zu können.
Ein Gang nach Canossa im wahrsten Sinn des Wortes wird allerdings die Zeit vor der Flucht, zumal er nicht einmal seine Frau in die Pläne einweihen kann, um sie vor späteren Repressalien zu schützen. Sie darf nicht merken, dass er in den verschiedensten Orten der DDR kleine Mengen blaue Textilfarbe zum Einfärben der weißen Segel kauft, um keinen Verdacht zu erregen, dass er die riesigen Stoffteile in der Badewanne einfärbt und heimlich in der Bodenkammer trocknet, weiße Segel wären in der Nacht aufgefallen, dass er das Segelboot mit Proviant ausstattet, dass er Briefe an amtliche Stellen verschickt, um eine Rückkehr möglich zu machen und so weiter und so weiter.
Die Flucht nach Dänemark gelingt an einem Tag, da das Wetter so eintrifft, wie vorhergesagt und der leichte Nebel günstige Sichtverhältnisse für das "Nicht-Gesehen-Werden" schafft. Allerdings wird die Orientierung erschwert, weil er nicht weiß, dass verschiedene Leuchtfeuer zu bestimmtem Zeiten abgeschaltet werden. Erleichtert trotz allem nun in Dänemark, anschließende Weiterreise in die Bundesrepublik. Mit dem Vertrauen auf seiner Hände Arbeit wird er sich eine solche in Hamburg suchen und seinem Traumziel ein Stückchen näher sein. Doch das mit der Arbeit erweist als weitaus mühsamer als gedacht, gering bezahlte Jobs, hohe Abzüge, hohe Lebenskosten. Eine sprachlich bewundernswerte Methode des Autors ist es, die Textstellen des Erzählers mit den Ich-Überlegungen des Paul Gompitz elegant zu verknüpfen, so entstehen sehr lebendige Sprach-Räume.
Elisa Ueberschär lässt diese Geschichte mit ihrer brillanten Stimme die Zuhörer hautnah erleben, vor lauter Spannung wagt keiner eine Frage zu stellen oder will gar eine Pause eingelegen. Mit ihrer Sprache schafft sie einen Schwebezustand, man fühlt sich nach Italien versetzt, sieht die phantastische Aussicht im Hafen von Triest, wirft einen raschen Blick auf Rom, erlebt das phantastische alte und neue Syrakus, wähnt sich auf einer Schiffsreise nach Neapel und Ustica und findet sich in Mantua mit Paul Gompitz auf dem Platz wieder, der als Kulisse für den Film "Rigoletto" diente. Völlig ergriffen hatte Paul Gombitz diesen Film als junger Mann in Dresden gesehen, gedreht nach Verdis Oper, mit der Stimme Lugiano Pavarottis. Völlig überwältigt hört er jetzt die dramatische Ouvertüre aus einem der Kaffeehäuser zu ihm herüberklingen. Kann das Zufall sein oder hat sich hier sein Traum erfüllt? Ist das überhaupt noch Wirklichkeit?
Real wird es auf alle Fälle wieder bei seiner Rückkehr in die DDR , wo er nach weniger traumhaften Befragungen und einer längeren Haft in einem Aufnahmelager wieder nach Hause darf. Ohne Italien wollte er nicht in die Kiste, das schien zu beeindrucken.
Ein spannendes Buch von Friedrich Christian Delius, betörend gelesen von Elisa Ueberschär. Sie plant übrigens ein weiteres Projekt mit einer Lesung zu Texten von Brigitte Reimann. Man kann sich schon heute darauf freuen.

 

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