Eine Chance vertan – für Stadt, Zeitbild und Kunst

Unsere heftige Kritik am Brigitte-Reimann-Film „Ich liebe, mein Gott, ich liebe“ (26. 2., S. 13 -„Bösartig“-) veranlasste den Vorsitzenden des Kunstvereins Hoyerswerda, Martin Schmidt, sich zu Wort zu melden. Ihn verband mit der Schriftstellerin eine enge Freundschaft von 1963 bis zum Tode der Reimann. Er schreibt:

Von der mitternächtlichen Sendezeit abgesehen, bleibt doch lobenswert, dass dieser Autorin gedacht wurde, die mit nur 39 Jahren starb und deren Roman „Franziska Linkerhand“ seit seinem posthumen Erscheinen 1974 immer neu zu einem Kultbuch junger Generationen wird. Besonders aus Sicht der Bürger Hoyerswerdas ist die Erinnerung an sie wichtig: Die Autorin war nicht nur die acht Jahre von 1960 bis 1968 Bürgerin der Stadt, sondern alle ihre wichtigen literarischen Arbeiten entstanden hier.

Von alldem, vor allem auch von dem mehrjährigen Leiden der Schriftstellerin bis zum Tode, gibt der Film Auskunft, indem er der Chronologie dieses kurzen Lebens zu folgen sucht und Zeugen jener Jahre zu Wort kommen lässt. Eingefügt werden dazu immer wieder Ausschnitte aus zeitgenössischen Film- und Fernsehberichten, die im Film jedoch im Einzelnen zu unverständlicher Länge und Pathetik ausarten. Unklar bleibt, warum die Autoren immer wieder den damaligen Staatschef Walter Ulbricht zeigen, ohne das kritische und sehr distanzierte Verhältnis Brigitte Reimanns zu ihm zu erwähnen. Dasselbe betrifft Otto Gotsche und die Schriftstellerin Anna Seghers. Letztere wurde von der wesentlich jüngeren Reimann sehr verehrt, nicht aber ihre offiziellen Reden auf Kongressen und Parteitagen, da sie sehr in der Nähe zu Demagogie und Phraseologie jener Zeit lagen. Ähnliches wäre von Max Walter Schulz zu sagen. Bei seiner Darstellung im Film - wie bei der vieler anderer - drängt sich der Eindruck auf, der Regisseur Ullrich Kasten hätte mehr Interesse an angeblichen Bettgeschichten der Autorin gehabt als an der Auseinandersetzung mit dem Anliegen der Schriftstellerin in schwieriger, dunkler Zeit. Auch bei anderen Gesprächspartnern, z.B. Hermann Kant, Wolfgang Schreyer, Vera Kaufmann, bleibt unklar, warum sie befragt wurden, da ihre Aussagen in keinem Fall über die offizielle, sehr eingegrenzte Sicht der DDR hinausgehen. Es entsteht der Eindruck, sie wären nach dem Wertigkeitsschema der untergegangenen Partei ausgewählt und nicht nach ihrer Beziehung zur Autorin und deren Werk. Dadurch gerieten die nachdenklichen, zugeneigten und klugen Beiträge von Siegfried Pitschmann (dem zweiten Ehemann Brigitte Reimanns), Helmut Sakowski (ihrem echt beschützenden Freund) und Christa Wolf nicht nur viel zu kurz, sondern sie waren verständnislos geschnitten.

Zitate aus Reimann-Briefen und -Tagebüchern wurden mit solchen der Kunstfiguren aus ihren Romanen und Erzählungen gemischt, als gäben sie alle gleichermaßen verbindliche Ansichten der Autorin wieder. Die unterschiedliche Wichtung zwischen der Kunstfigur eines Buches, einer vertraulichen Nachricht eines Briefes oder der ausschließlich zur Selbstverständigung geschriebenen Tagebuchnotiz scheint den Filmemachern nicht bekannt zu sein. Jedenfalls hielten sie es an keiner Stelle für nötig, mit Sprecherwechsel oder einem Hinweis auf die verschiedene Herkunft ihrer Texte, die sie der Autorin in den Mund legten, hinzuweisen.

Ebenso unexakt gingen die Filmer mit dem Bildmaterial um. Bei Hoyerswerda wurde dies so kurios, dass als Beleg für die damals berechtigte Klage Brigitte Reimanns über fehlende Infrastruktur und Farbe Ansichten von Stadtvierteln gezeigt wurden, die damals noch nicht einmal geplant und gebaut waren! Immerhin: Dem Kameramann Wolfgang Lindig muss eine gute Hand beim Einfangen poetischer Alleen, von Park- und Seebildern bestätigt werden. Warum diese jedoch mit Texten höchst brisanter und persönlich erschütternder Aussagen unterlegt werden, wird das Geheimnis der Gestalter bleiben. Dem Betrachter erschließen sie weder ein Kunstwerk noch das Leben und die Zeit Brigitte Reimanns. Um wie viel wichtiger wäre es gewesen, mit ehemaligen Kollegen und an Arbeitsstellen im Kombinat Schwarze Pumpe zu sprechen! Zumal bereits vor Jahren den Filmemachern dieser Kontakt vermittelt wurde! Mit dieser Darstellung wurde Brigitte Reimann nicht nur aus ihrer Zeit und einem ihrer wichtigsten Anliegen gerissen, sondern in die Sphäre der Versammlungen, Kongresse und Sitzungen versetzt, die sie verabscheute und als Zeitraub ansah, während sie für anregende Gespräche mit Arbeitern und Kollegen stets Zeit hatte. – Ihrem im Internet verkündeten Ziel „Der Film über Brigitte Reimann ist zugleich eine Parabel auf einen mutigen Menschen, der sich nicht beugen, nicht brechen lässt“ sind die Filmemacher um Ullrich Kasten sehr fern geblieben. Schade. Eine Chance weniger für Stadt, Zeitbild und Kunst.

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