Es ist ein eigenartiges Gefühl, hier ihre Worte zu hören

Ulrich Reimann war 1962 das letzte Mal in Hoyerswerda. Sonnabend weilte er wieder in der Stadt, in der seine Schwester acht Jahre ihres Lebens verbrachte. «Ich habe die Entwicklung Hoyerswerdas intensiver verfolgt als die anderer Städte» , bekennt der Bruder der Schriftstellerin Brigitte Reimann, der heute in Oranienbaum bei Dessau lebt, «bin aber nie mehr hier gewesen.»


Reimann-SpaziergangUlrich Reimann war gekommen, um gemeinsam mit den Mitgliedern des Kunstvereins und weiteren interessierten Hoyerswerdaern auf den Spuren seiner Schwester zu wandeln. «Ich bin überwältigt davon, wie intensiv hier das Andenken an Brigitte gepflegt wird» , sagte er. Nie hätte er gedacht, dass das Werk seiner Schwester noch viele Jahre nach ihrem Tod solche Beachtung finden würde. Umso erfreuter hatte Reimann die Einladung des Kunstvereins angenommen, die Stätten ihres Wirkens zu besichtigen. «Es ist ein eigenartiges Gefühl, jetzt hier zu stehen und ihre Worte zu hören» , meinte er nachdenklich. 
Ihre Worte – das waren Ausschnitte aus Brigitte Reimanns Roman «Franziska Linkerhand» , durch den ihre widersprüchliche Beziehung zu Hoyerswerda in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Sie wurden einfühlsam vorgetragen von Helene Schmidt und Angela Potowski.
Startpunkt für den Spaziergang war das Haus Lieselotte-Herrmann-Straße 20. Eine schlichte Gedenktafel erinnert daran, dass Brigitte Reimann von 1960 bis 1968 in dem Haus lebte und arbeitete. Hier, wo damals tristes Grau das Bild bestimmte, entstand ihre Literatur, mit der sie versuchte, sich ihrer neuen Heimat anzunähern. Schon die Zugfahrt nach Hoyerswerda war für Brigitte Reimann ein Schock. Was sie sah, war eine «eintönige Landschaft, in der ich nicht einmal begraben sein möchte» . Der erste Eindruck von Hoyerswerda selbst relativierte dieses Bild ein wenig, denn was Brigitte sah, war eine lebendige, pulsierende Stadt mit vielen Lichtern.
Weitere Stationen auf den Spuren der Brigitte Reimann waren die ehemalige Wohngebietsgaststätte «Glückauf» und das frühere Zuse-Gymnasium ganz in der Nähe ihres Wohnhauses. Die Schriftstellerin war nicht nur Beobachterin, sondern versuchte auch zu helfen, ihre neue Heimatstadt für ihre Bewohner lebenswerter zu machen. So setzte sie sich zum Beispiel für ein Kino oder für ein Lesecafé ein. «Letzteres haben wir bis heute noch nicht» , bedauert der Vorsitzende des Kunstvereins, Martin Schmidt.
Brigitte Reimann musste bald erkennen, dass die allmächtige Bürokratie des Arbeiter-und-Bauern-Staates jedem Individualismus enge Grenzen setzte. Deshalb war sie auch desillusioniert, als sie Hoyerswerda im Jahre 1968 verließ. Ihr Vermächtnis lebt jedoch weiter in der Stadt – sehr zur Freude auch ihres Bruders Ulrich.

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