Holländischer Architekturhistoriker glaubt an die Chance der Kreisfreien Stadt

Martin Schmidt und Prof. Ed Taverne

Der Architekturhistoriker Prof. Ed Taverne aus Groningen ist exzellenter Brigitte-Reimann-Kenner. Bei seinen Forschungen zur Bau-Geschichte der Fünfziger Jahre hat Hoyerswerda sein besonderes Interesse geweckt. Gestern war er erstmals Gast in der Kreisfreien Stadt.

Herr Professor Taverne – wann und wie ist Ihnen Brigitte Reimann erstmals „begegnet“?

Vor drei Jahren – und das eher zufällig. Bei meiner Suche nach Material zum Städtebau in der DDR, der ja auch eine soziale Komponente beinhaltet, habe ich in einem Groninger Antiquariat nach DDR-Literatur gefahndet, die den Alltag widerspiegelt. Da hat man mir die Reimann-Tagebücher empfohlen, den Band „Ich bedaure nichts“ – und der hat mich sehr beeindruckt.

Inwiefern?

Nun, es war die Person der Reimann. Sie hat nicht nur über das Leben in Hoyerswerda-Neustadt geschrieben – sie hat es auch selbst gelebt. In Holland gibt es unter den Schriftstellern manchmal intellektuelle Überheblichkeit gegenüber den „Suburbs“ (Arbeiterwohnsiedlungen). Die schreiben darüber, würden aber nie einen Fuß dorthin setzen. Sie pflegen einen intellektuellen Anti-Urbanismus, sind von vornherein gegen solche Städte. Wie anders Brigitte Reimann! Sie hat ja trotz aller Zweifel, Enttäuschungen und aufkommender Bitterkeit versucht, etwas für Hoyerswerda zu tun; den Kern zu retten, der sagt, Architekten sollen Städte zum Leben bauen und nicht nur zum Sein-Leben-Fristen...

Und doch hängt Hoyerswerda ja genau dieses Image an.

Das ist richtig und doch falsch. Hoyerswerda ist nicht die einzige Stadt, die Probleme dieser Art hat. Schauen Sie sich die Großwohnsiedlungen in Holland, in Paris, in London oder in den Staaten an – da ist nichts anders.

Also ist Hoyerswerda eine ganz gewöhnliche Stadt?

Nein. Auch wenn Eisenhüttenstadt, damals Stalinstadt, „Erste sozialistische Großstadt der DDR“ genannt wurde – Hoyerswerda-Neustadt ist die erste industriell gefertigte Stadt.

Was unterscheidet sie aber von „kapitalistischen“ Großwohnsiedlungen?

Schwierig... Wenn mir etwas aufgefallen ist: Im „Westen“ sind die öffentlichen Plätze „überdesignt“. Da ist bis ins letzte Detail geplant worden: Hier eine Bank, da eine Fontäne, da eine Ecke für Kinder, da eine für Senioren... Man hat den Leuten vorgegeben, was sie mit jeder Ecke des öffentlichen Raums anzufangen hätten. Hier hingegen sind die Plätze, ich will nicht sagen, leer, aber oft „nur“ grün; so, als wollte man den Menschen sagen: „Hier, macht selbst etwas draus, seid so frei...“ Vielleicht paradox: Die Gestaltungsfreiheit des öffentlichen Raums als Ersatz für die private Freiheit, die der Kollektiv-Gedanke des Sozialismus/ Kommunismus so nicht brauchen konnte, weil er Individualismus ablehnen musste als ein Sich-dem-Kollektiv-Entziehen.

Vorbei. Als Klischee ist geblieben: Graue Platte, riesige Wüsten – und jetzt der Abriss.

Ja, das hat mich auch sehr bedrückt, dass alles, was in Holland über Hoyerswerda berichtet wird, diesen negativen Anflug hat. Dabei ist das doch eine spannende Frage: Was wird jetzt aus Hoyerswerda?

Zugespitzt gefragt: Ein Museum oder kompletter Neubau?

O, das sind ganz falsche Alternativen! Eine Stadt als Museum – das ist doch schrecklich! Aber alles komplett „wegwerfen“ ist genauso wenig eine Lösung, da hat man hier nach der Wende vielleicht sogar schon des Guten zu viel getan; in bester Absicht, versteht sich. Man wollte ja das Gewesene überwinden und mehr Wohnqualität schaffen.

Was wäre Ihr Rezept?

Ich maße mir nichts an, aber ich würde eine, wie es in Holland heißt, „behutsame Sanierung“ vorschlagen, über die jetzt sehr genau nachgedacht werden müsste. Die Versöhnung des Gegensatzes zwischen den Zwängen und Gegebenheiten industrieller Architektur und dem Anspruch auf Lebensqualität..

Was wäre da das Wichtigste?

Hoyerswerda braucht eine kulturelle Biografie! Eine Stadt ist wie ein Mensch; mit Persönlichkeit und Charakter. Sie ist nicht nur Bauhülle und Fläche, sondern kultureller, sozialer, politischer Raum, in dem „unbewusste“, unsichtbare Triebkräfte wirken. So, wie jeder von uns einen Psychiater braucht, um sich zu verstehen (lacht) , braucht eine Stadt eine solche kulturelle Biografie, will sie ihre Identität wahren, finden oder meinetwegen konstruieren. Wie nach dem Kriege Wroclaw, das sich ja erfolgreich aus Breslau heraus neu erfunden hat.

Wer schreibt diese Biografie?

O, ich würde es gerne tun – aber dazu kenne ich die Stadt zu wenig. Vielleicht wäre ja die richtige Lösung eine Gruppe von Autoren.

Hiesiger – oder auswärtiger?

Ein wenig außenstehend-neutrale Sicht – gut. Aber lassen Sie sich bloß nicht zu viel von außen hineinreden, von Büros und „klugen Leuten“! Was für und in einer Stadt Bestand haben soll, muss es vor allem aus der Stadt selbst kommen.

Gespräch: Uwe Jordan

Zur Verfügung gestellt durch: Sächsische Zeitung

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