Tagebücher als lebendige Zeitspiegel

„Jahresringe und Seitensprünge. Brigitte Reimann unter uns“, Hommage von Angela Potowski und Konstanze Niemz. Eine Veranstaltung im  Rahmen der Sonderausstelleung "3 Kreative. 100 Jahre. Eine Stadt."

054 Wann ist ein Schriftsteller glaubwürdig, wenn nicht in seinen Tagebüchern? Brigitte Reimanns Tagebücher sind das in jeder Hinsicht. Sie schrieb fast täglich alles auf, was sie erlebte, was sie dachte und wie sich die Welt um sie herum gestaltete. Zum anderen nutzte sie ihre Tagebücher als Gedächtnishilfe für ihr literarisches Werk, denn sie konnte nur über Dinge schreiben, die sie erlebt, empfunden oder mitgelitten hatte. Und gerade deshalb ist ihr schriftstellerisches Werk bis heute so lebendig.
Ihre Tagebücher von 1947 bis 1954 hat sie verbrannt und damit „ihre Kindheit und Jugend“, schade. Die späteren Tagebücher wurden vom Aufbauverlag in zwei Bänden herausgegeben: „Ich bedaure nichts, 1955 bis 1963“ und „Alles schmeckt nach Abschied, 1964 bis 1970“. Aus dem ersten Band, geschrieben in Burg und Hoyerswerda, wählte Angela Potowski Texte aus, die Brigitte Reimann als angehende, suchende Schriftstellerin zeigen, Texte zu ihrer frühen Ehe und zu den Begegnungen mit Siegfried Pitschmann und Hans Kerschek. Dazu gehört auch ihre „literarische“ Sucht, sich immer aufs Neue zu verlieben, sich selbst aber zu behalten. Am 28.09.1957 erhält sie in Burg Besuch vom Staatssicherheitsdienst. Was will man von mir? „Ich habe kein sauberes Gewissen, ich kann den Mund nicht halten“. Man unterhielt sich überraschend freundschaftlich und fast glaubte Brigitte Reimann, sie könnte durch Mitarbeit der guten Sache des Sozialismus zu dienen, das wird sie bald wieder ändern, denn „es gibt gewisse Dinge, über die ein Mensch mit einem Rest an Gewissen nicht hinwegkommt“.
Im September 1959 besuchen Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann Hoyerswerda: „Hoyerswerda ist überwältigend, das Kombinat von einer Großartigkeit, dass ich den ganzen Tag wie besoffen herumlief.“ Die Euphorie wird sich legen, sie werden zwar finanziell unterstützt, müssen aber als Gegenleistung einige Tage in der Produktion arbeiten, Buchbesprechungen übernehmen, den Zirkel schreibender Arbeiter parteikonform leiten und noch vieles Weitere, zum Schreiben bleibt nicht allzu viel Zeit.
Als großartige Bereicherung zu den von Angela Potowski erfrischend gelesenen Texten erwies sich die musikalische Begleitung durch Konstanze Niemz. Sie hat sich von den Texten ebenso inspirieren lassen wie von der Vorliebe der Reimann für Blues und Jazz, die wunderbar traurige Musik des schwarzen Amerika. In fünf eigenen Liedern, zu Gitarre und Mundharmonika gesungen, erzählt sie vom Samen, der in die Zeit fällt und fragt: Was bleibt?
Als Schriftsteller im Schriftstellerverband gehören für Reimann und Pitschmann auch Tagungen und Kongresse in Berlin zu den Pflichtaufgaben, davon wird meist kritisch berichtet. Walter Ulbricht hat sie bei einer Sitzung mit Kulturschaffenden gelobt, das ist verdächtig, ihr Brief war wahrscheinlich nicht kritisch genug, „sonst hätte er Ulbrichts Unwillen hervorgerufen!“.
Brigitte Reimann schwankt zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt, aber sie resümiert, ich habe ein wunderschönes Leben, ich bedaure nichts.
Den Abend beschließt Konstanze Niemz mit dem Lied „Friede sei mit euch“, in Sorbisch und Jüdisch.
Doch etwas musste noch gesagt werden, am 23.11.1963 schreibt Brigitte Reimann, sie hat den Roman „Franziska Linkerhand“ begonnen und wenn das Publikum möchte, kommen Angela Potowski und Konstanze Niemz mit einem Programm zum zweiten Teil der Tagebücher wieder; unter großem Beifall, man möchte unbedingt.

Mit freundlixher Genehmigung von Sächsische Zeitung, Hoyerswerdaer Tageblatt (Beitrag im Tageblatt gekürzt)

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