Die Gerichte und die Kunst

Pro.f Dr. Andreas Wien beim Hoyerswerdaer Kunstverein 2014Jugendlich hin- und herschreitend, ohne mehrseitiges Manuskript, scheinbar locker erzählend nahm am Mittwoch im Schloß Professor Dr. Andreas Wien wieder einmal seine Zuhörer im Kunstverein gefangen. Sein Nachdenken galt „Rechtsstreitigkeiten um Kunstwerke“, wobei der Jurist erstaunt feststellte, dass bei diesem Thema die moderne Kunst das Übergewicht habe. Aus früheren Kunstepochen seien Streitigkeiten in dem Umfang und mit den Ansprüchen nicht bekannt.
Als frühestes Beispiel berichtete er von dem Urheberrechtsstreit im Jahr 1506 zwischen Albrecht Dürers und Marcantonio Reimondi. Letzterer hatte Kupferstich-Kopien von Dürers Holzschnitten „Kleine Passion“ angefertigt - was damals erlaubt war- dabei jedoch auch das Signum „AD“ übertragen. Dies wurde Reimondi untersagt, er musste die Buchstaben löschen, damit war der Urheberstreit ausgestanden. Künstler wurden in jener Zeit wie die Handwerker betrachtet. Erst seit der Renaissance bestimmt das Schöpferische das Selbstverständnis des Künstlers.
Anhand von zehn wohlausgewählten Beispielen aus dem 20.Jahrhundert stellte Professor Wien vor, wie Fragen Was ist Kunst; Wann können Fotografien von Kunstwerken eigene Urheberrechte beanspruchen; Wie wird die Höhe vom Schadensersatz bestimmt? usw. von Gerichten gesehen werden. Er begann mit Cy Twombly (1928 -1957) und dessen großer weißer Leinwand, die Rindy Sam 2007 in einer Ausstellung in Südfrankreich küsste. Der Künstler klagte, weil durch den Abdruck ihrer Lippen das Kunstwerk zerstört wurde. Diesem Vorwurf hielt sie entgegen, Aktionskünstlerin zu sein und damit das Kunstwerk bereichert zu haben. Der Prozess erstreckte sich über zwei Jahre, der Wert des Kunstwerkes wurde auf 2 Mill. EUR geschätzt. Die Staatsanwaltschaft beantragte 4500 EUR plus gemeinnützige Arbeit, und das Gericht legte für die Restaurierung 18 400 EUR Schadenersatz plus 500 EUR Verfahrenskosten fest. „Ein teurer Kuß“ wurde kurz kommentiert.
Das Grundgesetz schreibt Kunstfreiheit fest, dadurch ist dem Staat nicht erlaubt, zu sagen, was Kunst sei oder nicht. Er darf Kunst nicht reglementieren. Wenn ein Mensch eine Idee habe und diese für Kunst erkläre, könne ein Gericht nur nach Darstellung des Klägers oder angesichts der Gegenargumente entscheiden. Die moderne Kunst habe, so der Jurist, auch keine Antwort auf diese Fragen. Daher ginge es in Deutschland nicht um die Frage was Kunst sei, sondern um die Kosten der Naturalrestitution, des Zurückgewinnens des Originalzustandes. In den USA dagegen entscheide man nach dem Wert des Gegenstandes für den Kläger. Dabei wurden Schadensatzansprüche bis zu 1 Mill. Dollar, z.B. für eine zu heiß getrunkene Tasse Kaffee oder für eine in der Mikrowelle verbrannte Katze anerkannt.
Auch Prozesse um Werkes Aktionskünstlers Joseph Beuys (1921 -1986) standen im Mittelpunkt. Dessen berühmtester Streit bewegt sich auch heute noch um eine Performance  genannt die „Fettecke“ aus Margarine, die ein Handwerker beseitigt hatte. Der folgte der Streit um eine Ausstellung mit 18 Fotos der „Fettecke“, die ein Fotograf ausstellte, ohne die Zustimmung der Erbin Eva Beuys einzuholen. Von 1964 bis 2013 beschäftigten sich damit verschiedene Gerichte, bis letztlich der Bundesgerichtshof entschied: Die Fotos dürfen als eigene Kunst ausgestellt werden. Danach brannten 3 Künstler aus einer der Beuyschen Fettecken kürzlich Schnaps und beanspruchen für ihr Ergebnis auch den Begriff Kunst. Das Urteil wurde noch nicht gesprochen.
Auch bei anderen teils skurril erscheinenden Disputen um moderne Kunstwerke schickte der Professor sowohl eine Kurzbiographie des jeweiligen Künstler, beschrieb dessen umstrittenes Werk und ein paar Worte des Schöpfers zu seiner Sicht auf die Kunst voran, als auch die juristischen Grundsätze, die grundlegenden Gedanken des deutschen Rechtes nach denen sich Gerichte richten und dennoch zu unterschiedlichem Urteil kommen. Er verband zwei Anliegen Kenntnis um moderne Kunst mit notwendigem juristischem Wissen zu jeweils anderen Sachverhalten.
Mancher mochte an den Spruch erinnert werden, dass man sich vor Gericht und auf See in Gottes Hand befinde. Dies sei derzeit bei einem Baustopp an der Mannheimer Kunsthalle, weil eine früher durch deren Etagen durchgeführte Bohrung und deren Verzierungen als Kunstwerk anerkennt wurde, heute aber dem Brandschutz widerspräche. Die Künstlerin, Nathalie Braun Barends, besteht auf ihrem Werk, die Feuerwehr auf dem Gesetz. Die Stadt lehnt einen Schadensersatz in Höhe von 300 000 Euro ab. Folglich ruht der notwendige Umbau bis ein Gericht entscheidet. Dabei erinnerte Professor Wien deutlich an die Kosten solcher Prozesse und der Unklarheit ihres Ausgangs. Der Abend endete in angeregter Diskussion, die mit dem gern gesehenen Referenten fortgesetzt wird.
Bild: Prof. dr. Andreas Wien 2014 beim Hoyerswerdaer Kunstverein

 

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