“Mein Leben ist mir immer wie ein Traum vorgekommen…“
Es heißt Abschied nehmen von Ralph Giordano. Mitte der neunziger Jahre begegneten wir uns in Köln bei einer Tagung, seither tauschten wir per Brief Gedanken aus. Wenn wir uns trafen, wie bei seiner Lesung im Gut Geisendorf, fanden wir uns sofort im Gespräch, als wäre es nicht unterbrochen worden.
Seine Jugend im Versteck vor den deutschen Nationalsozialisten, prägte seine Haltung vor jener Menschen verachtenden Weltsicht. Sein Roman “Die Bertinis“, bekannt durch die Verfilmung, brachte uns sein Leben nahe. Wir lernten seine Sicht auf Ostpreußen, Irland, Israel, Armenien kennen, er forderte uns zu eigenem Nachdenken über Geschichte und mögliche gemeinsame Wege in die Zukunft heraus.
Ende April 1997 besuchte Ralph Giordano zum ersten Mal Hoyerswerda. Der Autor arbeitete an seinen Reportagen „Deutschlandreise. Aufzeichnungen aus einer schwierigen Heimat.“, die 1998 erschienen. Ein umfangreiches Kapitel widmete er Hoyerswerda, der Altstadt wie der Neustadt. Die Spaziergänge durch unsere Stadt gehören zu den schönsten Erinnerungen, sie schenkten Zeit und Ruhe zum Erzählen, zum Fragen, Staunen und zum Lernen. Bei seiner Rückfahrt bemerkte er, dass Hoyerswerda einen Zoo habe, eine Einrichtung, die er in jeder Stadt besuchte. Am Ende des Berichts vom Spaziergang durch Hoyerswerda versprach er, wieder zu kommen, um die Tiere im Zoo zu besuchen.
Dieses Versprechen löste Ralph Giordano Mitte Mai 2005 mit einem Spaziergang durch den Zoo ein. Abends erwartete ihn eine unüberschaubar große Zuhörerschar im Schlosssaal, die er mit seinem Buch „Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte – Die Pläne der Nazis nach dem Endsieg“ zu intensiver Diskussion herausforderte, wie schon bei seinem ersten Besuch mit dem Buch „Die zweite Schuld oder von der Last, Deutscher zu sein“ und auch im Elsa Brändström-Haus Schmeckwitz der Familie Zschorlich.
Zur Einweihung des Brigitte - Reimann - Zeichens im vorigen Jahr sandte er Glückwünsche mit Bewunderung für die Autorin wie für die Bürger, die dieses Erinnern an die Schriftstellerin mit ihren Spenden möglich machten. Er dachte gern an die Begegnungen in Hoyerswerda. „Mein Leben ist mir immer wie ein Traum vorgekommen, seine Himmel und seine Höllen auch“, heißt es in seinen „Erinnerungen eines Davongekommenen“. Die Mitglieder und Freunde des Hoyerswerdaer Kunstvereins verneigen sich dankbar und bewundernd vor dem Lebenswerk Ralph Giordanos, der uns Vorbild in Zivilcourage, Wahrheitsliebe und Zuneigung zu Hoyerswerda bleibt.